Trümmerfrau

frau

In einer Küche, zwei Personen. Die Dame, sie ist alt. Der Herr, ein Kind und jungenhaft und deshalb ungestüm, vereinzelt unsensibel, wenn er spricht. Ein wenig zornig und frustriert mustert er das kleine Häufchen Zukunftsglaube. Die Stimme streng und ungeduldig, er will nicht ständig Ohrenzeuge ihrer Seufzer, ihres in den tristen Zimmerwänden schallenden Lamento sein. Der Raum ist voll, bestimmt von diesen Tönen. Es dirigiert zur dieser Stunde die vollkommene Gleichgültigkeit, welche sich der bereits erlebten, einer längst gelebten Zeit und Freude dieser Dame seit Jahren jetzt schon anvertraut. Die Krankheit hat sie abgeklärt und weil sie jetzt so krankhaft weise ist, erklärt sie ihm, was sie zwar glaubt zu wissen, doch eigentlich auch selbst nicht weiß. Weshalb sich ihre Worte dann im Rhytmus eines ziemlich teilnahmslosen, schwerfälligen Stumpfsinns, im feuchten Phlegma suhlen, bis dass der zähe Schleim ...

“Ich weiß nicht. Diese Pillen. Nimmt man die Pillen, dann geht es besser. Doch ging es vorher auch. Was war denn nun zuerst. Schmerz oder Pille. Das denk’ ich dann manchmal.”

Das hat sie gestern schon gesagt. Auch hat sie es vor Tagen schon im Selbstgespräch erwähnt, um dann in seiner Gegenwart den Selbstbeweis schonwieder zu betonen, weil dieser ganz bewusst dem Grübeln einen kümmerlichen Nachdruck zu verleihen sich bemüht. Dass die Alten sich ihres noch lebendigen Geistes zu versichern versuchen, indem sie die bei besonders wachem Geiste erdachten Phrasen von Zeit zu zeit ganz automatisch deklamieren, sowie der enttäuschte Christ, der sein Vaterunser abspult, weil sich in den unmodernen Worten und der Tradition die Klarheit finden lässt, ist nur dann bedauernswert, der Gedanke nur dann so miserabel, wenn man bedenkt, dass der Tod des Menschen als entgültigste traditionelle Konsequenz so unverblumt Gewissheit und Tatsächlichkeit personifiziert, während die Selben doch Grundlage sind, nach der die menschlichen Gefühle verlangen.
“Nein. Du bist jung. Du verstehst das nich’. Irgendwann kommt so’ne Zeit, dann geht es auch nich’mehr. Und es tut doch auch alles so weh. Es tut weh, wenn ich sitz’ oder stehe. Immer tut’s weh. Aber jammern soll man nicht. Es hilft nich’, das Jammern. Ach, was ich immer jammer und doch will der Herrgott es nich’ hören.”
Es kam so ‘ne Zeit und plötzlich ging es nicht mehr.
Vielleicht ging es schon nicht mehr, als die alte Dame, damals noch ein Kind, mit blonden, geflochtenen Zöpfen am Ufer der Wupper durch die Trümmer der zerstörten Fachwerkhäuser lief. Sie hatte verstanden, als der alliierte Kontrollrat sie verpflichtete Steine zu schleppen, als man ihr und den Trümmerfrauen sagte, sie mögen den Schutt und die Ruinen in primitive Unterkünfte verwandeln, in deren winzigen Räume sich dann die vaterlosen Familien vor Wind und Wetter beschützt fanden. Sie hatte verstanden, als ihr erster Ehemann sie im Alkoholfieber ohrfeigte und sie dann mit den Kinder alleine ließ. Sie hatte begriffen, dass jetzt so ‘ne Zeit kam.
Der Junge verstand das jetzt auch.

Er fährt jetzt in die Stadt. Vielleicht soll er ihr etwas mitbringen. Etwas gutes, etwas das ihr schmeckt. Cola vielleicht. Das trinkt sie doch so gerne.
“Das ist nett. Cola ist gut. Aber kalt muss sie sein, hörst du. Es wäre schön, wenn sie kalt wär’.”

Stumm sein

Schreiben, weil sich das geschriebene Wort besser anfühlt, als die Erfahrung, die es beschreibt.

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